Agê Barros

Die wohl häufigste Frage in meiner Schreibwerkstatt lautet: Ist die Zeit die richtige? „Richtig“ gibt es in diesem Fall nicht, denn die Autor:in ist frei in ihrer Wahl und muss sich nicht an grammatische Regeln halten. Aber das Tempus zeigt Wirkung – und die ein oder andere Autor:in kräuselt die Stirn: Wie kann ich meine Geschichte am besten zum Ausdruck bringen?

Erzählt wird häufig in der Vergangenheit. Das liegt daran, dass der Erzählende von etwas spricht, das bereits geschehen ist und somit in der Vergangenheit liegt. Es ist das klassische Tempus, das Autorinnen und Autoren seit Jahrhunderten verwenden.

Ist es somit auch immer die beste Wahl?

Das Tempus ist ein Stilmittel, mit dem ich die Perspektive des Erzählenden zum Ausdruck bringe und damit automatisch auch eine bestimmte Stimmung wecke: Schreibe ich in der Vergangenheit, dann produziere ich die Gemütlichkeit einer Erzählung; sie kann aber auch behäbig und langweilig werden.

Nutze ich dagegen den Präsenz, wird die Geschichte temperamentvoll und lebendig. Die Gemütlichkeit schwindet und man hat das Gefühl, Teil des Geschehens zu werden und kann sich zusammen mit dem Protagonisten auf die Reise begeben. Die Leser:in taucht ein in die Geschichte ein; auch wenn sie/er gerade bequem auf dem Sofa sitzt und ein Buch in der Hand hält.

Im Präsenz dominiert die Aktion. Der Präsenz kann damit sehr viel Spannung erzeugen. Aber er verschlingt auch den Lesenden. In der klassischen Erzählperspektive hat der Lesende Raum, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Im Futur, der wohl am wenigsten benutzt wird, begebe ich mich als Autor:in in eine Welt der Wünsche und Hoffnungen, des Irrealen – denn die Geschichte ist mehr Vermutung als Realität.

Stilsichere Autor:innen gelingt es, zwischen den Zeiten gekonnt zu wechseln. Dazu braucht es einiges an Übung. Um ein gutes Gefühl für das Tempus zu bekommen, rate ich zu folgender Übung: Nehmen Sie sich ein Buch zur Hand und klappen Sie zum Beispiel Seite 33 auf. Nehmen Sie den ersten Absatz, der oben auf der Seite neu beginnt und unterstreichen Sie die Verben. Gehen Sie dann an die Arbeit und schreiben Sie den Absatz in verschiedene Tempi um. Im Deutschen gibt es davon immerhin sechs: Plusquamperfekt, Perfekt, Präteritum, Präsenz, Futur I und Futur II. Vergleichen Sie anschließend die verschiedenen „Töne“ der Absätze.

Wem Übungen nicht so liegen, rate ich zu einem simpleren Mittel: dem Folgen der eigenen Intuition. Denken Sie nicht lange über das Tempus nach, sondern vertrauen Sie auf Ihr Können und legen los. Beim anschließenden lauten Vorlesen, verraten die Verben häufig schon von ganz allein, wo Stolpersteine liegen.