Mit elf Jahren wechselte ich die Schule. Meine Familie zog von Frankfurt/Main nach Prag und fortan ging ich auf die International School of Prague. Ich war ziemlich entsetzt. Meine Zeugnisnote in Englisch befand sich auf einer glatten 5. Und von nun an sollte ich in der Schule nur noch Englisch sprechen.
Mit meinen stolzen elf Jahren! (und meinen Plänen, bald schon einen Freund zu haben, Partys zu feiern und über Drogen philosophieren zu können) befand ich mich kurzerhand auf dem Sprachniveau einer Einjährigen. Es fühlte sich an wie „zurück auf Start“ und mit der Wut und Hilflosigkeit, die wohl nur in Pubertierenden steckt, kam ich in Prag an.
Die Stadt war alt und marode, unter den vielen Menschen war niemand zu entdecken, mit dem ich in Kontakt treten konnte und die Schule, die ich fortan besuchen sollte, befand sich in einem steinalten Palais, in dem bis heute die amerikanische Botschaft untergebracht ist.
Gott sei Dank bekam ich drei Wochen Schonfrist: eine junge Amerikanerin, die einen Tschechen geheiratet hatte und hier lebte, brachte uns vier Geschwistern die ersten englischen Wörter und Sätze bei (Thanks Mrs. Gilbert!).
Doch wenn für Kinder drei Wochen auch lang sind, so ist es im Nachhinein betrachtet doch eine sehr kurze Zeit gewesen. Im November betrat ich zum ersten Mal die International School. Sie wurde von einem ältlichen Direktorenpaar geleitet: Mr. und Mrs. Rubright. Er ein langer, schlaksiger Greis, der immer begeistert war (ich hatte zu dieser Zeit noch keinen Amerikaner persönlich kennengelernt). Sie eine faltige, hochgeschminkte Lady, die immer lächelte. Das weitere Lehrerteam bildeten junge abenteuerlustige Amerikaner*innen, die zwei Jahre ins Ausland gegangen und zwei Töchter englischsprachiger Diplomaten, die noch auf der Suche nach einem Lebenspartner waren.
Mrs. Rubright nahm mich zunächst unter ihre Fittiche. Die ersten englischen Worte, die ich sprach, wurden freundlich bestätigt; die mich umgebenden Schüler*innen gleichzeitig mit warnenden Blicken bedacht, wenn sie mein „ecause“ (das ich aus „because“ ableitete) zu einem „equals“ verbessern wollten. Es wurden nicht enden wollende Tage in einer Umgebung, in der alle viel freundlicher waren, als ich es bisher von Schule kannte, ich aber kaum etwas verstand und mir ziemlich verloren vorkam.
Dann entdeckte plötzlich Mrs. Rubright plötzlich eine Leidenschaft von mir: das Lesen (deutscher Geschichten…). Ich weiß nicht, wie sie darauf kam, aber mit der ihr eigenen Erfahrung unkonventionell in einem multikulturellen Umfeld zu unterrichten, pickte sie es auf und fortan durfte ich deutsche Kurzgeschichten ins Englische übersetzen. Tagelang saß ich in der Schulbibliothek, las Satz für Satz die Geschichten aus einem kleinen Rowohlt-Bändchen und nahm die Arbeit sehr ernst. Ab und zu kam Mrs. Rubright vorbei, las die englische Variante, gab mir Tipps, korrigierte nie und war begeistert. Mit ihrer Begeisterung, aber auch mit meinem Können wuchs meine Sprachkompetenz. Es waren die ersten Schritte zu immer bessere werdenden englischen Sprachkenntnissen – und der Beginn einer lebenslangen Liebe zu einer der schönsten Städte der Welt und ihren zahllosen geheimnisvollen Geschichten.
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